Urban Farming mit Mikroalgen
Seit kurzem ziert ein grünlich schimmerndes Röhrengebilde eine Gebäudefassade auf dem EUREF-Campus in Berlin. Bei Nacht leuchtet es weithin sichtbar, bei Tage kann man erkennen, dass ein Gemisch aus Wasser und Luft beständig zirkuliert. Bei diesem Objekt handelt es sich nicht um Kunst am Bau, sondern um die erste tubuläre Algenzuchtanlage der Welt für den urbanen Raum. Konzipiert hat das vertikale System die im Gebäude ansässige Firma MINT Engineering GmbH, die damit einen Markt für private Mikroalgen-Anbauer eröffnen möchte. Der Geschäftsführer Gunnar Mühlstädt stand GartenNatur für ein Interview zur Verfügung.
GartenNatur: Herr Mühlstädt, was ist das Besondere an dieser Anlage?
Gunnar Mühlstädt: Die Anlagen, die wir bauen, sind quasi ein künstlicher Lebensraum für Algen. Letztlich betreiben wir nichts anderes als Landwirtschaft, da wir ja Pflanzen kultivieren. Aber wir brauchen keine Ackerfläche, sondern wir konzentrieren uns auf einen Photobioreaktor. Also eigentlich Ackerfläche im Rohr.
Welche Algen kultivieren Sie in der Anlage?
Am Gebäude hängen ja zwei Anlagen-Units für den Anbau von Mikroalgen. Wir starten in der einen mit Chlorella und in der anderen mit Spirulina.
Was unterscheidet Ihre Anlage von anderen?
Da würde ich zwei Dinge benennen. Wir kultivieren nicht horizontal, wie man das bereits kennt, sondern wir haben eine Anlage entwickelt, die vertikal aufgebaut ist. So wie man es an unserer Hausfassade in Berlin sehen kann. Das ist eine echte Innovation. Ein solches produktives System gibt es in dieser Form – nämlich im urbanen Raum – weltweit zum ersten Mal.
Im Weiteren handelt es sich um ein geschlossenes System. So können wir sicherstellen, dass auch nur das wächst, was wir gezielt einbringen. Es kommen keine Fremdkulturen rein, die unseren Anbau kontaminieren können. Wir definieren also ganz genau die Startkultur, die Menge an Dünger, die Qualität des Wassers usw. So können wir garantieren, dass sich nur die von uns eingegebene Startkultur entwickelt. Wir brauchen auch keine Pestizide, was in den offenen Systemen, beispielweise in Asien, ja immer wieder ein Thema ist. Da versucht man Verunreinigungen chemisch entgegenzuwirken. Das gibt es bei uns nicht. Wir wissen, dass das, was wir hineingegeben haben, in multiplizierter Form am Ende wieder rauskommt.
Weshalb hängt das System an der Wand?
Weil wir so Flächen im urbanen Raum nutzen können, die ansonsten nicht genutzt werden. Eine „Biofassade“, wie wir es nennen, hat natürlich viele charmante Gründe. Zunächst ist es ein attraktives Objekt. Wir haben es aus Bewerbungsgründen mit LEDs bestückt. Das wirkt schon sehr imposant. Man kann sich auch Konzepte vorstellen, wo man diese Biofassade nutzt, um gezielt eine Verschattungseinrichtung einzusparen. Oder man könnte in Zukunft das System nutzen, um CO2 aus dem Gebäudeinneren zuzuführen, was ja Nahrung für die Algen ist. Die formen es dann in reinen Sauerstoff um, den man wieder ins Gebäude leiten könnte. Das ist momentan bei der Anlage technologisch noch nicht umgesetzt, wäre aber denkbar.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um so eine Anlage zu installieren?
Dazu benötigt man einen technischen Planungsprozess, der alle baurechtlichen Vorschriften abdeckt, die nicht unerheblich sind. Brandschutz ist ein großes Thema. Wir haben die gesamte Genehmigungsphase durchlaufen, einschließlich verschiedener Gutachten. Das ist ein ganz normaler, formaler Prozess, der am Ende belegt: Es geht kein Risiko von der Anlage aus!
Welche Voraussetzungen sind dann für den Betrieb wichtig?
Licht ist das Wichtigste, was die Algen brauchen, um Photosynthese betreiben zu können. Die Anlage sollte also nicht nach Norden hin ausgerichtet oder im Schatten installiert werden. Sie muss ganztägig beschienen werden, das fördert den Produktionsprozess und damit die Ausbeute. Man könnte auch künstliches Licht verwenden, aber das rechnet sich meist nicht, denn man muss am Ende die Gesamtenergiebilanz betrachten.
Wie funktioniert der Anbau von Mikroalgen und die Ernte?
Wenn Sie das mit uns machen, also mit der Firma MINT, dann müssen Sie gar nichts machen. Wir kümmern uns um alle Belange der Algenanlage. Wir bieten den Service, eine Startkultur einzubringen, sorgen für die richtige Menge an Dünger und würden regelmäßig schauen, dass auch alles so wächst wie man es sich wünscht. Am Ende kommt ein sogenannter „Mobile Harvester“, der hat eine Zentrifuge an Bord, die die Algenmasse vom Wasser separiert. Das Wasser wird wieder aufbereitet, in die Anlage zurückgeleitet und mit einer neuen Startkultur versehen – und weiter geht’s.
Was passiert mit der Ernte?
Für die Biomasse, das ist sozusagen Teil 2 unserer Algenstory, gibt es jetzt einen innovativen Marktplatz namens GBEX (Global Biomass EXchange), der die Algen abkauft. Das Ganze ist ein genossenschaftliches Prinzip. So können wir mit vielen Anlagen, die überall installiert sind, eine so große Masse produzieren, dass wir am Ende auch für große Verwerter interessant werden. Natürlich können Sie als Anbauer die Algen auch selbst verwerten, was immer Sie auch vorhaben. Aber ein Zusammenschluss ist in der Regel sinnvoller.
Einen Abnehmer zu haben, das klingt sinnvoll!
Das Problem ist momentan ja noch, dass es keine wirklichen Standards für Biomasse aus Algen gibt. Im Moment kommt noch 90 Prozent der Produktion aus China. Und was man da bekommt, ist noch schwierig zu bewerten. Deshalb haben wir uns vorgenommen, verlässliche Standards zu erarbeiten, so dass man das Endprodukt auch bewerten kann. Was muss drin sein? Was darf drin sein? Was muss ausgeschlossen werden, um es als Lebensmittel weiterverarbeiten zu können? Wenn das erst mal als Grundlage erarbeitet ist, dann wird der Marktplatz GBEX wesentlich lebhafter werden. Die Nachfrage ist jetzt schon groß, weil man vom chinesischen Produkt weg möchte, vor allem im Biobereich.
Was wird aus der Algenmasse gemacht?
Heute wird ein großer Teil der Mikroalgen in der Ernährungsindustrie genutzt. Zum Beispiel als Nahrungsergänzungsstoffe, reich an Omega-3-Fettsäuren und sekundären Pflanzenstoffen. Bestimmte Teile der Algen dienen aber auch als Färbungsstoffe. Und natürlich Biokraftstoffe.
Ist es sinnvoll bzw. rentabel, Algenanbauer zu werden?
Es hängt natürlich vieles vom Standort ab, aber die Anlagen, die wir momentan kalkulieren, amortisieren sich im Schnitt innerhalb von fünf bis sieben Jahren. Also eine Investition, die Sinn macht, vor allem wenn man die stetig steigende Nachfrage betrachtet.
Hat Algenanbau eine Zukunft?
Natürlich! Das hat noch gar nicht richtig begonnen. Es schwappt sozusagen im Moment vom Labor in die Industrialisierung. Jeder der das macht, hat im Moment noch eine steile Lernkurve vor sich. Aber wenn die flacher wird und die Prozesse noch weiter optimiert sind, dann wird der Durchbruch des Anbaus von Mikroalgen kommen. Das ist unsere Herausforderung – und das wollen wir mit unserer Firma MINT natürlich mitgestalten.
Praxistipps